
Chefdirigent 1990–2002
Wenn Claudio Abbado übers Musizieren sprach, fiel die häufige Verwendung der Worte »ascoltare« und »insieme« auf. Tatsächlich war gegenseitiges »Zuhören«, das »gemeinsame« Arbeiten an einem Werk für ihn stilbildend. Das erfuhren auch die Berliner Philharmoniker, deren Chefdirigent Abbado 1989 wurde. Gegenüber seinem eher distanzierten Vorgänger Herbert von Karajan setzte Abbado auf Interpretationen, die sich aus kollegialem Miteinander entwickelten. Das Ergebnis war eine oft kammermusikalische Transparenz, die bis heute den Stil der Berliner Philharmoniker bereichert.
Dazu kamen wichtige programmatische Weichenstellungen. Unter Claudio Abbado wurde Gustav Mahler zu einem Repertoireschwerpunkt der Berliner Philharmoniker, er lud neue Gastdirigenten wie Nikolaus Harnoncourt ein und etablierte die Serie der Europakonzerte, mit denen das Orchester alljährlich am 1. Mai in wechselnden Kulturmetropolen seinen Gründungstag – den 1. Mai 1882 – feiert. Kennzeichnend für die Ära Abbado waren darüber hinaus Konzertzyklen, die literarische Themen in den Mittelpunkt stellten, etwa den Prometheus- oder den Faust-Stoff.
2002 verließ Claudio Abbado die Berliner Philharmoniker, die er 1966 erstmals dirigiert hatte. Zum Glück für alle Beteiligten blieb die Verbindung fruchtbar und herzlich. Alljährlich kehrte Abbado in die Philharmonie zurück, wurde von Orchester und Publikum gefeiert. Dabei begnügte sich der Maestro keineswegs damit, frühere Erfolge zu revitalisieren. Voller Entdeckerlust setzte Abbado weiterhin auf spannende Repertoirekopplungen, probierte neue Werke aus und stellte so sicher, dass die Zusammenarbeit der Berliner Philharmoniker mit ihrem früheren Chef nichts von ihrer dynamischen Frische verlor.
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Claudio Abbado: Die Stille nach der Musik
Interview
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