Simone Young dirigiert Bruckner und Rihm
Simone Young dirigiert Symphonien von Anton Bruckner am liebsten in ihren Urfassungen: »Vielleicht sind diese nicht so perfekt wie die späteren. Aber sie haben dafür eine Modernität, die den späteren fehlt.« Hier kombiniert sie die Originalversion der Zweiten Symphonie mit Wolfgang Rihms Szene Das Gehege. Das düstere Einpersonenstück handelt von einer Frau, die am Vorabend der deutschen Wiedervereinigung einen Adler aus seiner Gefangenschaft befreit, ihn verführen will und schließlich tötet.
Eine nächtliche Szene lautet der Untertitel von Wolfgang Rihms Das Gehege: einer Vertonung der Schlussszene aus Botho Strauß’ Schlußchor. Dieses dreiteilige Theaterstück ist als Gegenüber zum Oscar-Wilde-Einakter Salome von Richard Strauss für die Bayerische Staatsoper entstanden. Mit ironischer Distanz setzte Rihm hier ein von Orchesterzwischenspielen unterbrochenes Monodram in Szene, das manches Motiv der Salome aufgreift und viele weitere Anspielungen auf die deutsche Theater-, Musik- und Realgeschichte enthält. Es klingt sowohl das Lied der Deutschen an als auch Beethovens Neunte, die in der Wendezeit allgegenwärtig war. Die Protagonistin des Stücks ist DDR-sozialisiert und Anhängerin der Monarchie. In der geschichtsträchtigen Nacht der Maueröffnung am 9. November 1989 kommt sie voller Sehnsüchte und Aggression mit sich und ihren Träumen, symbolisiert durch den Adler als deutsches Wappentier, ins Gehege – so lange, bis von der erotisch-nationalen Wiedervereinigungseuphorie nichts mehr übrig ist.
Nach Rihms Gehege mit der beim philharmonischen Publikum bereits bekannten dramatischen Sopranistin Vida Miknevičiūtė präsentiert Simone Young Anton Bruckners Zweite Symphonie. Die australische Dirigentin hat sich für die kompromisslose, spieltechnisch anspruchsvollere und rund zehn Minuten längere Urfassung von 1872 entschieden. Sie zeigt einen Komponisten, der mit aller Entschiedenheit und voller Enthusiasmus dazu aufgebrochen war, die musikalische Welt zu erobern. Obgleich seine umfassende Anerkennung als Symphoniker noch auf sich warten lassen sollte, bescherte ihm die Uraufführung der Zweiten, die Bruckner zum Abschluss der Wiener Weltausstellung selbst dirigierte, einer seiner wenigen Triumphe in der österreichischen Hauptstadt.
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