»Late Night«-Konzert mit Simon Rattle und Barbara Hannigan
Die hinreißende Sopranistin Barbara Hannigan hat immer wieder mit Simon Rattle musikalische Entdeckungen präsentiert, die zugleich durch Modernität und intensive Sinnlichkeit beeindrucken. In diesem Late Night-Konzert steht der Liederzyklus Quatre Chants pour franchir le seuil von Gérard Grisey auf dem Programm, eine fragile, atmosphärische Musik voll weltabgewandter Melancholie.
Bei den Quatre chants pour franchir le seuil, denen sich Barbara Hannigan, Mitglieder der Berliner Philharmoniker und Sir Simon Rattle zu später Stunde widmen, handelt es sich um die letzte Komposition Gérard Griseys, ein Weltabschiedswerk, dessen vier Gesänge immer wieder auf eine andere Art vom Gang über die Schwelle zum Tod handeln – eingeleitet von einem schattenhaften Prélude und mittels dreier Zwischenspiele zu einem rund 40-minütigen Zyklus verbunden. Die dynamisch zurückgenommene und mit einer fragmentarisch anmutenden Gesangslinie versehene Musik verströmt nahezu durchgehend eine Atmosphäre von Trauer und Abschied, welche sich auch in den zugrundeliegenden Texten spiegelt: Der erste Gesang, »Der Tod des Engels« nach einem Gedicht von Christian Guez Ricord hat mit seinen absteigenden Skalen in Halb-, Dreiviertel- und Ganztönen, über denen die expressive Sopranlinie geführt wird, den Charakter einer verzweifelten Selbstreflexion.
Das zweite Stück basiert auf fragmentarischen Inschriften ägyptischer Sarkophage, die von der quasi parlando verlaufenden Singstimme in kurzen syllabischen Werten zu Protokoll gegeben werden. Die Nummer 3 führt den Hörer dann in die geheimnisvolle Unterwelt der griechischen Antike, wo »das Echo ungehört verhallt« und sich »die Stimme im Schattenreich verliert«. Der vierte Gesang bietet schließlich nach einem Auszug aus dem Gilgamesch-Epos einen Rückblick auf die Sintflut; ob für Grisey die Gewissheit der kosmischen Neugeburt im Vordergrund stand oder die fatalistische Einsicht in das Ende aller Zeit, lässt die Musik allerdings offen …
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