Lahav Shani dirigiert Dvořáks Symphonie »Aus der Neuen Welt«

1892 wurde Antonín Dvořák zum Direktor des New Yorker Musikkonservatoriums berufen – mit dem Auftrag, einen amerikanischen Nationalstil zu entwickeln. Seine Symphonie Aus der Neuen Welt fängt die Weite der Landschaft ein und schöpft aus den Klängen der indigenen Bevölkerung. Als eigentlicher Vater eines amerikanischen Idioms gilt jedoch Charles Ives, dessen rätselhafte Unanswered Question zu einem Meilenstein wurde. Lahav Shani und Konzertmeister Daishin Kashimoto gestalten zudem Dmitri Schostakowitschs Erstes Violinkonzert.

Was ist moderne Musik? Das Programm, das Lahav Shani für sein Gastdirigat bei den Berliner Philharmonikern mitgebracht hat, gibt darauf nicht eine, sondern drei individuelle Antworten. Verblüffend ist, dass zwischen der Entstehung von Dvořáks Neunter Symphonie und der ersten Niederschrift von Ives’ The Unanswered Question nicht einmal 15 Jahre liegen.

Charles Ives beendete seine Tätigkeit als Organist 1902 und verlegte sich auf die Arbeit als Versicherungskaufmann. Ohne äußere Notwendigkeit ließ er sich so 1906 zur Komposition der Unanswered Question inspirierenvon Ralph Waldo Emersons Gedicht The Sphinx. Das zunehmend drängende Fragen »nach dem Sein« obliegt in Ives’ Werk der Solotrompete. Während ein Teppich aus gedämpften Streichern »die Schweigsamkeit der Druiden, die nichts wissen, sehen und hören« repräsentiert, ereifern sich die Holzbläser in der »Jagd nach der unsichtbaren Antwort«, so Ives. Erst 1946 gelangte eine mehrfach überarbeitete Fassung zur Uraufführung.

Etwa ein Jahr später begann Dmitri Schostakowitsch in der UdSSR sein Erstes Violinkonzert zu schreiben – für die Schublade. Zu groß war die Bedrohung durch die Kulturpolitik, die ihm kurz darauf einmal mehr »Formalismus und Volksfremdheit« vorwarf. Er verlor seine Lehrämter an den Konservatorien in Leningrad und Moskau. Im Violinkonzert fand Schostakowitsch ein Ventil: Der erst Satz (Nocturne) ist eine bedrückende Klage, spöttisch das Scherzo – man mutmaßt, dass es den stotternden Kulturfunktionär Andrei Schdanow karikiert, der den Komponisten drangsalierte. Nachdem die Passacaglia das unaufhaltsame Malmen des Schicksals versinnbildlicht hat, wirkt die anschließende Kadenz verloren im leeren Raum. Fortgerissen wird sie von einer Burlesque – gewaltsam, unentrinnbar. Der Erste Konzertmeister Daishin Kashimoto interpretiert das Werk, das erst 1955 – nach Stalins Tod – erstmals öffentlich erklang. Zu verdanken war dies dem Solisten David Oistrach, der einen amerikanischen Impresario von einer Aufführung des Werks überzeugte. Das wiederum bewog die Sowjetunion dazu, schnell noch die Uraufführung im eigenen Land zu arrangieren – allerdings unter neuer Opuszahl (op. 99), um zu suggerieren, Schostakowitsch hätte das Violinkonzert den sozialistischen Vorgaben gemäß revidiert. Er hatte keine Note verändert.

Dass das Nationale Konservatorium in New York 1893 ausgerechnet den Tschechen Antonín Dvořák einschiffte, um eine amerikanische Musik zu begründen, mutet kurios an. Das Ergebnis – obgleich unter dem Eindruck indigener Folklore entstanden – ist dann auch viel mehr Dvořák als alles andere: »Ich habe einfach eigene Melodien erfunden, in die ich die Eigenheiten der Indianermusik eingearbeitet habe.« Mit ihrer enormen Fülle an motivischen Einfällen von zeitloser Schönheit erfreut sich die Symphonie Aus der Neuen Welt bis heute anhaltender Beliebtheit.

Berliner Philharmoniker
Lahav Shani
Daishin Kashimoto

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Künstler*innen

Lahav Shani Dirigent, Klavier
Charles Ives Komponist
Dmitri Schostakowitsch Komponist
Daishin Kashimoto Violine
Antonín Dvořák Komponist

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