»Unanswered Questions«: Die musikalische Moderne zwischen 1910 und 1920

In das Jahrzehnt zwischen 1910 und 1920 fielen der Erste Weltkrieg und die russische Revolution. Im selben Zeitraum ereigneten sich auch in der europäischen Musikwelt dramatische Umbrüche: Es waren die Jahre der letzten Werke von Mahler und Debussy, der freien Atonalität in der Zweiten Wiener Schule um Schönberg, der skandalösen Uraufführung von Strawinskys Le Sacre du printemps und von experimentellen Kompositionen von Außenseitern wie Leoš Janáček und Alexander Skrjabin. Unsere Playlist präsentiert dieses aufregende Repertoire in Aufführungen mit den Berliner Philharmonikern.

Die Zeit zwischen 1910 und 1920 kann als besonders produktive Periode in der jüngeren Musikgeschichte gelten. Obwohl die meisten der hier präsentierten Komponisten eher unpolitisch waren, reagierten ihre Werke doch auch auf die historischen Umwälzungen der Zeit. So lassen sich in Ravels 1920 uraufgeführtem La Valse die Nachwirkungen der durch den Ersten Weltkrieg ausgelösten Erschütterung deutlich hören. Ein direktes Opfer war der im Alter von 28 Jahren gefallene Komponist Rudi Stephan, dessen Musik für Orchester hier Kirill Petrenko dirigiert.

Im genannten Jahrzehnt starben auch Debussy, Skrjabin und Mahler, die in ihren Abschiedswerken in neue Ausdrucksregionen vorstießen: Im Adagio von Mahlers Fragment gebliebener Zehnter Symphonie steht ein Akkord, in dem neun Töne der chromatischen Leiter gleichzeitig erklingen. In Jeux erreichte Debussy ein Maximum an Freiheit in formaler Disposition, Instrumentierung und Harmonik. Skrjabin schließlich setzte in Prométhée ou Le Poème du feu ein Klavier ein, das keine Klänge, sondern Farben hervorbringen sollte. Für andere Komponisten waren die 1910er-Jahre eine Zeit des Aufbruchs: Schönberg und seine Schüler provozierten das Publikum mit Kompositionen, die sich in »freier Atonalität« von den Grundlagen der vertrauten Harmonik emanzipierten, und der sprichwörtliche Paukenschlag wäre eine viel zu harmlose Metapher für den Schock, den Strawinskys Ballettmusik Le Sacre du printemps bei der Uraufführung 1913 auslöste. Béla Bartók schließlich, einer der bedeutendsten und integersten Komponisten der Epoche, vollendete 1911 seine einzige Oper Herzog Blaubarts Burg.

Die großen Komponisten der Moderne betrachteten sich gegenseitig oft als Konkurrenten. Mit Schönbergs Pierrot lunaire gab es aber doch ein Werk, das viele Kollegen faszinierte: Ravel lobte die Verbindung von »Romantik« und »Nüchternheit«, Strawinsky bezeichnete die Instrumentation als »vollendet«, Edgard Varèse machte Debussy auf das von ihm bewunderte Stück aufmerksam. Schönbergs geheimnisvoll-expressive Sprechgesänge bilden deshalb in drei Teilen das Leitmotiv dieser Auswahl.

Die Playlist präsentiert mit Charles Ives’ The Unanswered Question und Varèses Amériques – als Prolog und Epilog – zudem zwei Kompositionen, die kurz vor beziehungsweise nach diesem spannungsreichen Jahrzehnt geschrieben wurden. Ives war zweifellos eine der frühen authentischen Stimmen der amerikanischen Musik; Varèse verlegte seinen Wohnort im zeitlichen Umfeld seiner ersten bedeutenden Komposition von Europa in die USA. Und auch die Emigranten Strawinsky, Schönberg und Bartók fanden dort ihre letzte Heimat.

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