Daniele Gatti dirigiert Hindemith und Brahms
Im 19. Jahrhundert betrachteten viele die Symphonie als veraltet. Tatsächlich jedoch erwies sich die Gattung weiterhin als beeindruckend vital, wie Daniele Gatti – Chefdirigent des Amsterdamer Concertgebouw Orchestra – mit diesem Konzert zeigt. Zu hören sind Johannes Brahms’ lyrisch-kantable, dabei hochgradig innovative Zweite Symphonie und Paul Hindemiths Symphonie Mathis der Maler, die klangvoll mit barocken Formen spielt.
Daniele Gatti, amtierender Chefdirigent des Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam, hat die künstlerischen Geschicke zahlreicher international renommierter Klangkörper und Opernhäuser in Händen gehalten – darunter die Accademia Nazionale di Santa Cecilia, das Royal Philharmonic Orchestra, das Orchestre National de France sowie das Teatro Comunale di Bologna und das Opernhaus Zürich. Sein 20-jähriges Jubiläum als Gastdirigent bei den Berliner Philharmonikern begeht Gatti mit einem Programm, das zwei denkbar unterschiedliche Werke des symphonischen Repertoires zur Diskussion stellt.
Die Zweite Symphonie von Johannes Brahms wurde von ihrem Schöpfer 1877 während eines Ferienaufenthalts am Wörthersee (O-Ton Brahms: »Da fliegen die Melodien, dass man sich hüten muss, keine zu treten.«) in Angriff genommen und im Oktober desselben Jahres abgeschlossen. Seinem Verleger teilte der Komponist mit dem ihm eigenen Humor mit, das Werk sei »so melancholisch, daß Sie es nicht aushalten. Ich habe noch nie so was Trauriges, Molliges geschrieben: die Partitur muß mit Trauerrand erscheinen!« Die Wiener Uraufführung von Brahms’ Zweiter am 30. Dezember 1877 überraschte das Publikum dann aber mit einer Musik, die – so der Wiener Kritiker Eduard Hanslick – »wie die Sonne erwärmend scheint«, in »gesunder Frische und Klarheit leuchtet« und doch »überall aufzuhorchen und nachzudenken« gibt.
In ganz andere Gefilde entführt Paul Hindemiths 1933 von Wilhelm Furtwängler in Auftrag gegebene, auf einer zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollendeten Oper des Komponisten basierende Symphonie Mathis der Maler. Die »Engelkonzert«, »Grablegung« und »Die Versuchung des heiligen Antonius« überschriebenen Sätze des Werks beziehen sich auf Bildtafeln des von Matthias Grünewald zwischen 1510 und 1516 geschaffenen Isenheimer Altars – ihre Musik hingegen reflektiert Hindemiths persönliche Lebensbedingungen nach der Reichstagswahl des Jahres 1933: Den Nationalsozialisten war die modernistische Tonsprache des Komponisten ebenso ein Dorn im Auge wie dessen Ehe mit einer »Halbjüdin«. Nachdem Hindemiths Karriere als Bratscher durch Auftrittsverbote ein Ende gesetzt, die Publikation seines Handbuchs der Musik verhindert worden war, geriet die von Furtwängler geleitete, von Publikum und Kritik gefeierte Uraufführung der Mathis-Symphonie durch die Berliner Philharmoniker am 12. März 1934 zu einer kulturpolitischen Zerreißprobe. Der Rest ist Geschichte: Hindemith entschied sich trotz entschiedener Parteinahme Furtwänglers 1938 dafür, Deutschland bis Ende der 1940er-Jahre den Rücken zu kehren.
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