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Empfindungsstürme

Als Alban Berg im Mai 1925 auf Einladung von Hanna Fuchs-Robettin zum Internationalen Musikfest nach Prag aufbrach, konnte er nicht ahnen, dass diese Reise einen emotionalen Sturm in ihm entfachen würde: »Ich bin seit diesem größten Ereignis nicht mehr ich«, gestand er hinterher der Gastgeberin, »nur ein Gedanke, nur ein Trieb, nur eine Sehnsucht beseelt mich: das bist Du!« Das heimliche Liebesverhältnis dauerte bis Ende des Jahres an – in Bergs Lyrischer Suite hallt es bis heute nach.

Erst als in den 1970er Jahren die Briefe zwischen Berg und seiner »unsterblichen Geliebten« sowie eine Partitur mit handschriftlichen Notizen des Komponisten entdeckt wurden, offenbarte das Werk sein brisantes Geheimprogramm. Der Titel ist eine Reminiszenz an den Liederzyklus Lyrische Symphonie von Alexander von Zemlinsky, dem die Lyrische Suite gewidmet ist. Unter dem Deckmantel eines vordergründig unverfänglichen Streichquartetts schrieb sich Berg die aufwühlenden Erinnerungen an seine Schicksalsbegegnung von der Seele.

Eine kurze Liason

Während die sechs hochexpressiven Sätze des Quartetts diese in Gänze nachzeichnen, vom unbeschwerten Kennenlernen bis hin zum schmerzhaften Verzicht, beleuchten die 1927 vom Komponisten für Streichorchester arrangierten Sätze 2, 3 und 4 das amouröse Herzstück der kurzen Liaison, deren Höhepunkt das leidenschaftliche Liebesgeständnis im Trio estatico bildet. Als Hommage an seinen Freund Zemlinsky getarnt, zitiert Berg gleich zweimal aus der Lyrischen Symphonie eine Melodie zu den Worten »Du bist mein Eigen«, und selbst den spitzfindigsten Analytikern gelang es ohne die Partiturnotizen nicht, die allerorts in den zwölftönig verschlungenen Satz eingewobenen Initialen H-F und A-B aufzuspüren.

»Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei«

Zu den ersten Werken, die abstrakte Musik mit lyrischem Inhalt anreicherten, gehörte Ludwig van Beethovens »Pastorale«. Deren Programm war allerdings nie ein Geheimnis, sondern wurde unter dem Titel »Erinnerung an das Landleben« schon zur Uraufführung publiziert. Ein zeitgenössischer Kritiker reagierte mit Staunen und leichtem Befremden: »Excentrisch ist wol die Bahn, die [Beethoven] selbst sich vorzeichnet: er erhebt uns über das Gemeine, und versetzt uns, obwohl manchmal ziemlich unsanft, in das Reich der Phantasie.« Für Beethoven selbst war die Komposition der »Pastorale« ein Balanceakt, bei dem die Musik nie zur bloßen Illustration des Programms werden sollte. Zwar erlaubte er sich, die Rufe von Kuckuck, Wachtel und Nachtigall recht naturalistisch nachzuahmen, doch eine tönende Tierschau wie in Haydns Oratorium Die Schöpfung lag ihm fern. Entsprechend stellte er auf dem Programmzettel zur Uraufführung klar, die Symphonie sei »mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei«.

Nicht zufällig erklang im selben Konzert erstmals auch Beethovens Fünfte, bekannt als »Schicksalssymphonie«. An beiden Werken hatte er zeitgleich gearbeitet, sie bilden ein komplementäres Geschwisterpaar: Während die Fünfte sich drängend auf ihr triumphales Finale hin verdichtet, vermittelt der entspannte Zeitfluss der »Pastorale« Ruhe und Weite. Im Dezember 1808 erklangen die Symphonieschwestern noch in umgekehrter Folge; erst nachträglich änderte Beethoven ihre Nummerierung. Die erregte Innenschau des individuellen Schicksalskampfes findet so ihr energetisches Gegengewicht in der befreienden Außenperspektive eines universellen Naturerlebnisses, an dessen Ende die »frohen und dankbaren Gefühle nach dem Sturm« stehen.

Susanne Ziese

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