Sir Simon Rattle dirigiert Schumann und Lachenmann
Während seiner Berliner Jahre war für Simon Rattle die abenteuerlustige Erkundung aktueller Musik ebenso wichtig wie die kontinuierliche Arbeit am traditionsreichen Repertoire. Dieser doppelte Fokus prägt auch diesen Abend mit Helmut Lachenmanns My Melodies für acht Hörner, in dem die Soloinstrumente viele überraschende Klangfacetten offenbaren. Den Abschluss markiert Schumanns Zweite Symphonie mit ihrem immer wieder die Grenze zur Manie streifenden Überschwang.
Helmut Lachenmann hatte schon immer den sportlichen Ehrgeiz, sein Publikum als der Komfort-Zone zu locken: »›Try to like it!‹ habe ich zu Prinz Charles gesagt bei unserer seltsamen Begegnung in London, als er meinte: ›Modern music is so difficult to understand!‹ Und ich erlaubte mir, Ophelias Vater Polonius in Shakespeares Hamlet leicht abzuwandeln: ›There is method in our madness‹, wunderbar in der Schlegel-Tieckschen Übersetzung: ›Ist dies schon Wahnsinn, hat es doch Methode.‹ Wir sollten nicht Spaß, sondern Ernst machen. Ernst im heiteren Sinne des liebevollen Entdeckens und Entwickelns von Kontexten, wie sie jedem von uns auf andere Weise begegnen. Und es macht mir immer wieder Spaß zu sagen: ›Ernst machen‹ – das kann ja heiter werden ...«
Über My Melodies – Musik für acht Hörner und Orchester sagt Lachenmann, dass es eine besondere Herausforderung gewesen sei, weil er gezwungen war »mit dem Instrumentarium von acht Hörnern so etwas wie eine Harmonik zu finden. Da gibt es jetzt Vierklänge, Zweiklänge, Achtklänge. Es geht darum, immer wieder auf eine andere Weise immer wieder andere Antennen zu entwickeln. Und wenn das stimmt, dann müsste es eigentlich auch einem C-Dur-Dreiklang möglich sein.« Nachdem Sir Simon Rattle 2011 mit Tableau erstmals ein Orchesterwerk Helmut Lachenmanns aufs Programm gesetzt hat, widmen er und die Philharmoniker sich nun Lachenmanns umfangreichen und spektakulär besetztem Werk.
Ein Komponist, der sich mit seinem Konzertstück für vier Hörner ebenfalls von der Vervielfachung des Horns als Soloinstrument nicht abschrecken ließ, war Robert Schumann, dessen Zweite Symphonie nach der Pause auf dem Programm steht. In diesem konsequent auf das Finale hin ausgerichteten Werk folgte der große Romantiker dem Vorbild beethovenscher Finalsymphonien. Auch deshalb zog Ernst Gottschald in der Neuen Zeitschrift für Musik 1850 den Vergleich zu Beethovens Neunter Symphonie, wobei Schumann »über Beethoven hinaus« den »größten Forstschritt« in der Instrumentalmusik gemacht habe: »Ludwig konnte es noch nicht mit den bloßen Instrumenten, er musste von der Dichtkunst das Wort borgen, Robert vollbringt’s zum ersten Male mit den bloßen Instrumenten.«
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